Katarina Pirak Sikku
Julevädno, 2020/2024
Zeichnung der Geschichte des Julevädno-Flusses, gebunden mit einem Lasso der samischen Rentierhirten.Flüsse stellen wir uns gemeinhin als durchgehende, kontinuierlich fließende Gewässer vor. Tatsächlich trifft das aber nicht immer zu. Die Region Norrbotten im Norden Schwedens, aus der die samische Künstlerin Katarina Pirak Sikku stammt, hat in den letzten Jahrzehnten einen ökologischen Wandel erfahren. Dessen ungeachtet wurden zur Produktion CO2-freier Energie zahlreiche Flüsse gestaut, zergliedert und ihrer Fauna beraubt. Menschen, vor allem die indigenen Samen, wurden umgesiedelt, die Weideflächen der Rentiere zerstört.
Katarina Pirak Sikku hat sich seit einigen Jahren dem Zeichnen und Weben von Landkarten verschrieben – Karten, die Diskontinuität, fragmentierte Flüsse, Erinnerungen an Wasserfälle dokumentieren. Als ich sie in ihrer Heimatstadt Jokkmokk besuchte, machten wir einen Spaziergang zum nahe gelegenen Fluss Lule (samisch: Julevädno). „Du hast Glück“, sagte sie, „die Dämme sind offen, weil es zu viel geregnet hat; du hast Gelegenheit, den Fluss so zu hören und zu sehen, wie er früher einmal war.“ Während wir den Julevädno mit seiner gleichmäßigen, starken Strömung entlanggingen, unterhielten wir uns darüber, dass der grüne Wandel, dessen sich die Region rühmt, auch die Zerstörung symbolischer und realer Lebensgrundlagen mit sich bringt. In einer Zeitspanne von etwas mehr als hundert Jahren war der Lauf des Lule an fünfzehn verschiedenen Stellen unterbrochen, der Fluss eingesperrt in Kraftwerke, um das Land über Hunderte Kilometer mit Strom zu versorgen.
Der Name Julevädno leitet sich aus dem samischen Wort Lulji – der im Osten wohnt – ab und hängt mit dem samischen Verständnis von „Richtung“ zusammen: Die Lage von Orten wird anhand der Fließrichtung von Gewässern definiert, nicht über Längen- und Breitengrade. Für die Samen ist ein Fluss kein Rohstoff, den man ausbeutet, sondern unaufhaltsame Lebenskraft. Der Lule steht nun wieder still. Abgesehen davon, dass hier eine Lebensweise und die Beziehung zwischen den Samen und dem Fluss zerstört sind, kommen ihnen die Erträge, die aus der Wasserkraft erzielt werden, auch nicht zugute. In ihrer Arbeit Julevädno zeigt Katarina Pirak Sikku die kontinuierliche Transformation des Flusses, indem sie ihn zu verschiedenen Zeitpunkten vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute abbildet. Ihre Karten sind Landkarten der Erinnerung und der Gegenwart ebenso wie eine poetische Art und Weise, das auszudrücken, was Samen mit „wir sind hier“ und „nicht in unserem Namen“ meinen.
Katarina Pirak Sikku (1965, Jokkmokk) ist eine schwedische Künstlerin, deren Werke derzeit im Skissernas Museum in Lund gezeigt werden. Zahlreiche wichtige Galerien und Museen, wie etwa das Bildmuseet der Universität Umeå, haben ihre Kunst in der Vergangenheit ausgestellt. Ihr erstes Werk, das auf einer Auktion angeboten wurde, war "Om jag hade stålar #04" bei Göteborgs Auktionsverk im Jahr 2020. Katarina Pirak Sikku wurde bereits in Artikeln für e-flux, Hyperallergic und ArtDaily erwähnt. Der jüngste Beitrag ist The Anti-Hero, geschrieben für Kunstkritikk im Dezember 2023.