Fear of Smell / Smell of Fear_12_24, 2024

Geruch von zwölf Männern in Angst an den Säulen unter dem Niederösterreichischen Landtag

 „Wir atmen bis zu 24.000 Mal am Tag“, so die Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas. „Jeder Atemzug hält Nanolevel an Informationen über die Welt bereit, wir haben aber verlernt, diese richtig zu nutzen.“ Laut Tolaas nehmen wir das Leben viel zu sehr mit den Augen und Ohren wahr, weil uns die Fertigkeit abhandengekommen ist, die anderen Sinne zu gebrauchen, oder weil wir sie einfach ignorieren, insbesondere den Geruchssinn. Den Großteil ihres Lebens hat sie der Aufgabe gewidmet, das nicht Sichtbare zugänglich zu machen und Besucher:innen darauf zu stoßen, vor allen anderen Sinnen ihrer Nase zu folgen. Die Chemikerin und „Geruchsaktivistin“ fordert mit ihren facettenreichen und beeindruckenden Forschungsaktivitäten und Werken heraus und regt dazu an, sich durch den Vorgang des Riechens mit dem Thema Geruch auseinanderzusetzen. 

Inmitten des niederösterreichischen Regierungsviertels in St. Pölten lädt uns Tolaas ein, an den Säulen, den Stützen des Landhauses, zu schnuppern. Die Künstlerin hat echten Schweiß von mehreren Männern in Angstzuständen gesammelt und nachgebildet. Dieser Geruch wurde mithilfe einer Nanotechnologie auf die Säulen des unantastbaren, mächtigen Gebäudes aufgebracht. Nichts ist echter als echte Gerüche, die echte Geschichten über diese Männer erzählen. Aktiviert werden die Gerüche ausschließlich durch das Umarmen und Berühren der Säulen, so wie man das mit einer realen Person machen würde – eine irritierende Handlung. Wir Menschen schwitzen ständig aus den unterschiedlichsten Gründen, dazu zählt auch die Selbstregulation als Reaktion auf hohe Temperaturen, Stress, Liebe, Angst, Streit, Wettbewerb, Bewegung. Aufgrund von Bakterien hat der Schweiß je nach Kontext einen anderen Geruch. 

Im Verlauf der letzten hundert Jahre ist eine enorme Industrie gewachsen, deren Ziel es ist, die Welt zu deodorisieren und mit Milliarden verkauften Produkten die Realität – die Wahrheit – zu überdecken; diese Metapher lässt sich auch auf die Politik übertragen. Das Werk Fear of Smell / Smell of Fear _12_24 auf den Säulen des Regierungsgebäudes bringt mithilfe des Geruchs die Wahrheit zurück und kämpft damit gegen olfaktorischen Analphabetismus an – so sollen Vorurteile abgebaut und der molekulare Austausch als Form nonverbaler Kommunikation neu gedacht werden. Für Tolaas hat das Wiedererlernen des Riechens eine politische Dimension, denn es trainiert uns darin, tolerant zu sein, uns für nicht sichtbare Informationen zu interessieren, die unterschiedlichsten körperlichen Reaktionen und Sinne wahrzunehmen ebenso wie Unterschiede, Emotionen, Bedürfnisse und Diversität. 

Fear of Smell / Smell of Fear _12_24 zeigt auf, dass Geruch mit REALEM Leben zu tun hat, dass es uns nur dann gelingen wird, eine tolerantere Gesellschaft aufzubauen, wenn wir ihre Vielfalt annehmen. Um es mit den Worten der Künstlerin auszudrücken: „Eine Nachricht, die der Mensch mit der Nase wahrnimmt, kommt auch wirklich bei ihm an.“

    Sissel Tolaas (1965 in Norwegen) arbeitet, forscht und experimentiert seit 1990 intensiv mit dem Thema Geruch. Ihr Zugang zu Gerüchen ist einzigartig. Auf der Grundlage ihres eigenen Wissens - forensische Chemie, chemische Kommunikation, sensorische Ökologie, Linguistik und visuelle Kunst - hat sie weltweit eine Vielzahl revolutionärer interdisziplinärer Projekte mit Gerüchen entwickelt. Tolaas gründete das SMELL RE_searchLab Berlin im Januar 2004. Tolaas verfügt über einzigartige Fähigkeiten in der Geruchserkennung, -analyse und -reproduktion/-replikation. Sie hat Gerüche auf viele Arten und in vielen verschiedenen Kontexten und für viele Zwecke und Formate erforscht und erfahren. Ihre Forschungen und Projekte wurden durch zahlreiche nationale und internationale Stipendien, Auszeichnungen und Preise gewürdigt. Sie ist sehr fähig, intensiv mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Tolaas hat ihre Projekte in vielen Museen und Institutionen ausgestellt, darunter das MOMA in New York, das NGV in Melbourne, die DIA Foundation in New York, das CCA in Singapur, die Tate Modern in London, das Shanghai Minsheng Art Museum in Shanghai und das MORI Museum in Tokio. Sie hat mit Universitäten wie dem MIT, Nanyang Technical, Tsinghua, Harvard und Oxford zusammengearbeitet. Sie hat verschiedene Arten von Geruchsarchiven aufgebaut, wie zum Beispiel: Geruch & Kommunikation/Sprache; Geruch & Codierung, Geruch & Anthropozän; Geruch & Aussterben; Geruch & sensorische Ökologie; funktionale Geruchsmoleküle. Derzeit arbeitet sie an Archiven zur Erhaltung von Geruchsmolekülen, wie z.B.: Cristobal Balenciaga Legacy; World's Oceans und World's Forests; Geruchs-Geofakte/Artefakte/Archive im Metropolitan Museum, New York; Geruchs-Erbe-Archiv für die Ruinen von Pompeji; Bahrain Pearling Path & UNESCO. Tolaas' Sammlungen von Geruchsmolekülen und Geruchskomplexen aus den Jahren 1990 bis heute umfassen 15.000 Geruchsaufzeichnungsproben und -formeln.

     

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